Gedanken zum Buch: Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs von Gerd Kommer
04.07.2019
Von Zeit zu Zeit stolpert man über ein wirklich gutes Buch. In diesem Frühjahr bin ich auf so eines gestossen: Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs.
Der Titel fasst ziemlich genau zusammen, was ich als Anleger NICHT mache: In Indexfonds und ETFs investieren. Und das mit dem „souverän“ stimmt bei mir ja wohl auch nicht… Vielleicht gerade weil ich den Titel als eine kleine Provokation empfand, wurde irgendwann meine Neugier geweckt. Ich las zuerst die Leseprobe, welche mir Kindle anbot, merkte aber schnell, dass hier Handfestes daherkommt und kaufte mir den Titel.
Aus dem Klappentext: Gerd Kommer überzeugt immer mehr Sparer von den Vorteilen einer Geldanlage in Indexfonds und ETFs. Deshalb hat er sein Standardwerk vollständig aktualisiert und um eine Website zum Buch erweitert. Leser erhalten also nicht nur den allerneuesten Stand zu den besten Anlagemöglichkeiten, sondern auch exklusiven Zugriff auf ein Tool, das ihnen dabei hilft, die Empfehlungen auch umzusetzen. Einfacher geht passives Investieren nun wirklich nicht!
Dr. Gerd Kommer, LL.M., leitet ein Finanzberatungsunternehmen für Privatanleger in München. Er studierte Betriebswirtschaftslehre, Steuerrecht, Politikwissenschaft und Germanistik in Deutschland, in den USA und in Liechtenstein. Kommer verbrachte 17 Jahre im europäischen und außereuropäischen Ausland. Dies ist die fünfte, vollständig überarbeitete Neuauflage von Souverän Investieren. Die erste Auflage erschien 2002. Im Jahr 2016 gewann das Buch den Deutschen Finanzbuchpreis.
Ich mag dem Autor den Finanzbuchpreis gerne gönnen, er hat ihn meiner Meinung nach absolut verdient. Aus dem deutschen Sprachraum ist es das Beste, was ich zum Thema Investieren kenne – auch wenn ich als aktiver Anleger mit dem Autor in einigen Punkten ganz und gar nicht einverstanden bin.
Das Buch ist meist einfach zu lesen, über manche Strecken etwas gar trocken, an anderen Orten spannend und gespickt mit Informationen. Nicht alle 416 Seiten müssen unbedingt gelesen werden – gegen Ende des Buches habe ich das Interesse an den Ausführungen völlig verloren und nur noch flüchtig gelesen. Vor allem die Diskussion um Factor-Investing… Na ja, ich konnte der nichts abgewinnen. Sie scheint mir dem Grundgedanken des Buches völlig zu widersprechen.
Aber die ersten etwa 75% des Buches sind spitze. Es legt einleuchtend die vielen Vorteile des passiven Investierens mit Indexfonds und ETFs gegenüber aktivem Stockpicking dar – auch wenn es am Ende der Autor nicht geschafft hat, dass ich meine bisher durchaus erfolgreiche aktive Anlagestrategie wesentlich geändert habe.
Ich war nie der Meinung, dass die aktive Auswahl von Aktien
und anderen Anlageprodukten die einzige erfolgreiche Investitionsstrategie sei.
Das wäre ja ziemlich überheblich. Andererseits war – und bin – ich skeptisch
Strategien gegenüber, welche als passiv gelten. Ich kann mir beim besten Willen
nicht vorstellen, unter welchen Umständen ich bestimmte Aktien in meinem Depot
halten möchte. Waffen, Tabak, Alkohol, um nur die offensichtlichsten
Problemfelder zu benennen. Oder Aktien von chronisch schlecht performenden
Firmen. Deutsche, italienische oder Schweizerische Grossbanken zum Beispiel,
was hätten die in meinem Depot zu suchen? Zu gross die Risiken (für mich), zu
klein die guten Aussichten.
Das Buch beginnt mit den […] enttäuschenden Renditen von Investmentfonds und Einzelwertanlegern.
Nur eine erstaunlich kleine Zahl von Anlegern in Aktien- und Rentenfonds und Anlegern in einzelnen Wertpapieren schlägt ihren Vergleichsindex über Zeiträume von mehr als drei Jahren – insbesondere, wenn man Kosten, Steuern, Risiko berücksichtigt.
Ja, diese Aussage ist gut belegt. Aktiv gemanagte Fonds sind kaum je in der Lage, ihren Vergleichsindex zu schlagen, und was den professionellen Fondsmanagern nicht gelingt, schaffen die meisten Privatanleger, welche ihr Portfolio selbst bewirtschaften und aktiv Stock Picking betreiben, auch nicht.
Nur: «Ist das schlimm?» frage ich mich. Für mich jedenfalls nicht. Der Autor reitet auf diesem Punkt aber gerne herum. Jedem Anleger, der aktiv investiert, das heisst, jedem, der aktiv eine Auswahl an Wertpapieren trifft, welche ihm persönlich zusagt, unterschiebt er die Absicht, besser sein zu wollen als der Vergleichsindex. Andere Kriterien sind für den Autor nicht erkennbar.
Dass jemand zum Beispiel mit der aktiven Auswahl «seiner» Aktien absichtlich und gewollt gewisse andere Aktien ausschliessen will, übersieht Kommer. Dass dieser Investor wissentlich eine Performance-Einbusse oder bewusst ein höheres Risiko in Kauf nehmen könnte, ist ja auch denkbar. Ebenso ist denkbar, dass ein aktiver Investor (wie ich es einer bin), für seine Investitionen einen sehr langen Zeithorizont vorsieht. Da geht es dann plötzlich nicht mehr drum «den DAX zu schlagen» oder besser als der SMI abzuschneiden. Da geht es vielleicht darum, wie stabil und sicher die Dividendenzahlungen sind.
Kommer untersucht ausführlich, warum Anleger dem Verliererspiel »aktives Management« anhängen Obwohl es bei genauerer Betrachtung ein Fiasko ist, spielen noch immer mehr als 90% aller Privatanleger das Verliererspiel des aktiven Portfoliomanagements. Da die Wissenschaft die Hoffnung, dass aktive Strategien für Privatanleger systematisch erfolgversprechend sind, in den vergangenen Jahrzehnten hundert-, wenn nicht gar tausendfach widerlegt hat, drängt sich die Frage auf: Warum dominiert aktives Anlagemanagement bei Privatanlegern noch immer beinahe unangefochten?
Der Autor führt vier Gründe für die Dominanz der aktiven Strategien an: die Psyche des Anlegers und sein Know-How, falsche Empfehlungen und einseitige Beratung, Investmentpornografie in den Medien, Triebhaftigkeit und Naivität des Anlegers.
Dem kann ich gut folgen. Aktiv Anlegen kann gefährlich sein, wenn ein Anleger nicht weiss, was er tut. Das gleiche gilt, mit Verlaub, für passives Anlegen.
Ein klarer Vorteil von indexbasierten Fonds und ETFs ist die Diversifikation. Kommer weiss (unter anderem) dies zum Thema Diversifikation:
Diversifikation ist das vermutlich wichtigste Instrument zur Senkung von Rendite- und Wertschwankungen bei Wertpapieranlagen und Immobilien überhaupt. Trotzdem haben viele Untersuchungen ergeben, dass Depots von Privatanlegern dramatisch unterdiversifiziert sind. Das gilt für Diversifikation innerhalb von Asset-Klassen, z. B. Aktien, und für die Diversifikation über Asset-Klassen hinweg, z. B. Aktien, Anleihen und Immobilien.
…
Nur wirklich globale Diversifikation über Tausende von Aktien aus Industrieländern und Schwellenländern hinweg produziert den theoretischen und praktischen Maximalnutzen von Diversifikation. Jede andere Aussage ist entweder grundfalsch oder stimmt nur unter bestimmten Einschränkungen.
Oh, wow, der letzte Satz ist deutlich.
Natürlich, globale Diversifikation über Tausende von Aktien bringt genau dies, was vom Markt zu erwarten ist. Je nach Referenzwährung des Anlegers liegt die langfristige inflationsbereinigte Rendite der Aktienmärkte zwischen 4% und gut 6%. Also können wir langfristig eine Rendite auf unsere Aktien-Investitionen in dieser Grössenordnung erwarten, WENN WIR ALLES RICHTIG MACHEN.
Auch hier denke ich, dass globale Diversifikation für einen Privatanleger nicht das oberste Prinzip sein muss. Weshalb sollte ich z.B. via Indexfonds in Länder investiert sein, die ich für politisch oder wirtschaftlich zu korrupt halte? Die paar (theoretisch) möglichen Vorteile einer wirklich globale(n) Diversifikation über Tausende von Aktien aus Industrieländern und Schwellenländern hinweg scheint mir zu gering zu sein. Gewiss, das Risiko mag bei extremer Diversifikation in alle Aktien geringer als sonst – aber wiegt das andere Nachteile auf. Will ich wirklich in China, Russland, Nigeria investieren, nur um alle Vorteile eines optimal diversifizierten Portfolios geniessen zu können? Für mich lautet die Antwort. Nein.
Kommer vergleicht drei Portfolios mögliche Portfolios über den Zeitraum von 15 Jahren. Ein sehr schlecht diversifiziertes Portfolio aus drei grossen deutschen Firmen, ein mittelmässig diversifiziertes Portfolio, das alle 30 Titel des Dax-Index enthält, und ein maximal diversifiziertes Portfolio mit einem Indexprodukt auf einen globalen Index mit 8600 Aktien aus 40 Ländern. Portfolio 1 schneidet miserabel ab (1.3% pro Jahr), aber Portfolio 2 und 3 liefern ähnliche Resultate: 5.5% gegenüber 5.8% Performance pro Jahr.
Eine vernünftige Diversifikation über ein paar Dutzend gut ausgewählte Aktien aus verschiedenen Ländern scheint also für die meisten Investoren durchaus ausreichend. So kann ich jedenfalls mit vertretbarem Aufwand ungefähr wissen, was bei «meinen» Firmen los ist und kann auf besondere Umstände reagieren, falls ich das für nötig erachte. Optimal diversifiziert: Nein, vernünftig diversifiziert: Ja.
Das Highlight des Buches für mich ist das ausführliche Kapitel über Fehler – Fehler die Anleger machen. Kommer listet 20(!) Fehler auf und diskutiert sie ausführlich.
- Sich an historischen Renditen von Fonds und aktiven Anlagestrategien orientieren
- Die Wirkung der Nebenkosten des Investierens unterschätzen
- An Kursprognosen der Experten glauben
- Aktive Investmentstrategien praktizieren
- Annehmen, den Markt schlagen zu wollen, sei einen Versuch wert
- Glauben, Experten könnten den besten Einstiegszeitpunkt finden
- Sich an Fondsratings orientieren
- Von Fondsmanagern einen Mehrwert erwarten
- Annehmen, Risikoabsicherung (Downside-Hedging) sei umsonst zu bekommen
- Sich von nominalen Renditen täuschen lassen (Zerrspiegel Inflation)
- Sich auf Renditeangaben der Finanzindustrie verlassen
- Bankguthaben für sicher halten
- »Nullzinsen« für neu und ungewöhnlich halten
- In Einzelwerte investieren
- Ein gutes Unternehmen mit einer guten Aktie verwechseln
- Mit Brancheninvestments den allgemeinen Aktienmarkt schlagen wollen
- Sich von Private Banking einen Mehrwert versprechen
- In Hedge-Fonds und Private Equity investieren
- Langfristig erzielbare Investmentrenditen überschätzen
- Konventionelle Vermögensberater und Bankberater nutzen
Ich bin nicht mit allem und jedem einverstanden, was in diesem Kapitel steht, aber ich halte es für sehr lesenswert.
Das grösste Problem beim Investieren, wie es der Autor Gerd Kommer propagiert, ist für mich dies: Der passiv in Indexfonds und ETFs investierte Anleger ist in meiner Sichtweise kein Investor, sondern ein Käufer eines Finanzprodukts. Dem Besitzer von Finanzprodukten ist es egal, in welche Firmen er investiert ist. Er «kauft den Markt» und er fragt nur danach, was der Markt abwirft. Er hat keine Ahnung davon, und es hat ihn nicht zu interessieren, ob die Firmen, an denen er via seine Finanzprodukte beteiligt ist, gut, erfolgreich, sozial verträglich, gewinnbringend wirtschaften. Oder das Gegenteil davon. Der Markt wird’s schon richten…
Diese Haltung ist gefährlich, wie es immer gefährlich ist, in etwas zu investieren, was man nicht versteht. Der passive Anleger vertraut darauf, dass «der Markt» seine erhoffte Rendite abwirft, ohne zu wissen, woher genau diese Rendite kommt. Der Aktienmarkt rentiert ja nicht einfach so, er rentiert, weil zahllose Menschen in zahllosen Firmen zahllose Stunden eine Leistung erbringen und dabei am Ende vielleicht einen Gewinn erwirtschaften. Nur wenn Gewinn erwirtschaftet wurde und in Zukunft erwirtschaftet werden kann, sind Investitionen in Aktien erfolgreich.
Und genau hier beginnen die Probleme. Aus was für Gründen wird von Zeit zu Zeit das Umfeld für die Firmen schwieriger, die Gewinne schrumpfen, die Gewinnaussichten und die Aktienkurse brechen ein, und damit auch die Kurse der Indexanlagen. Der vermeintlich passive Besitzer dieser Finanzprodukte sieht dann, wie der Wert seines Portfolios stündlich sinkt… Da er nicht genau weiss, an welchen Firmen er beteiligt ist, kommt er zum naheliegenden Schluss, dass es am besten ist, er verkauft seine Anlagen sofort, bevor grösserer Schaden angerichtet ist. Natürlich kann er seine Finanzprodukte in kürzester Zeit verkaufen und trägt dazu bei, dass die Kurse noch weiter sinken. Dies animiert andere Besitzer solcher Finanzprodukte dazu, ihrerseits zu verkaufen … bis die Kurse im Keller angelangt sind. Eine klassische negative Feedback-Schlaufe.
Von «souverän Investieren» ist das jedenfalls weit entfernt. Dass Kommer auf diese Problematik nirgends eingeht, ist bemerkenswert.
Für mich gibt es ein einziges, wirklich überzeugendes Argument für passives Investieren via Indexfonds und ETFs: Nicht alle Menschen sind gleich. Wer sich nicht mit Investitionen in einzelne Firmen auseinandersetzen kann oder will, ist mit solchen Produkten gut beraten. Ich bezweifle allerdings, dass sich ein solcher Anleger erfolgreich durch den Dschungel von möglichen Fonds und ETFs durcharbeiten kann oder will. Gibt es weltweit etwa 40'000 investierbare Aktien, so gibt es ähnlich viele Fonds und ETFs. Allein der Fondsguide auf cash.ch listet über 12'600 Fonds auf. Da fällt die Auswahl auch nicht gerade leicht…
In diesem Fall ist wiederum Beratung nötig. Oder ein Werkzeug, welches dem Anleger die Entscheidung abnimmt. Aber das ist Thema für meinen nächsten Blogeintrag.
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